Achtsamkeit ist in aller Munde und findet zusehends Eingang in die Businesswelt. Gut so. Achtsamkeit wird meist mit Meditationspraxis assoziiert und durch sie vermittelt. Auch nicht falsch – bloss zu absolut, finde ich. Und im Zeitalter der Kommerzialisierung finden sich teilweise Angebote mit Nutzenversprechen, die dermassen absurd sind, dass die Tatsache, dass diese Angebote Käufer finden, einem Sorgen bereiten kann: „Lernen Sie Gelassenheit und innere Ruhe“, „Lösen Sie innere Blockaden“ usw., und das alles in einem Tag – fehlt nur noch das Meditations-Playmate. Glauben Sie kein Wort. Denn zwei Dinge sind klar:
Schnell in den Toolkoffer packen und bei Bedarf nutzen funktioniert nicht. Sie können Achtsamkeit kennenlernen in zwei Stunden, in einem Tag, oder in fünf Tagen, kein Problem. „Gelernt“ haben Sie Achtsamkeit dann noch nicht. Sie erschliesst sich nur durch die Übung über einen längeren Zeitraum. Gewisse Dinge lassen sich nun mal nicht abkürzen. Wenn Sie dafür ein gutes Beispiel suchen, schauen Sie sich den Monty Python Sketch an über den Versuch, Marcel Proust in dreissig Sekunden zusammenzufassen. Kurzformate für einen ersten Einblick in Achtsamkeit sind durchaus sehr sinnvoll, solange sie Ihnen nicht die sofortige Erleuchtung versprechen. Ein solcher erster Eindruck kann Ihnen Klarheit darüber verschaffen, ob Sie Lust haben, Achtsamkeit zu pflegen oder nicht.
Meditation als reine Technik nutzen und darauf warten, dass sie Sie in einen besseren Menschen verwandelt – funktioniert auch nicht. Achtsamkeit entsteht erst durch die Kombination einer geeigneten Technik mit einer entsprechenden Haltung und einem Wertesystem. Meditation als reine Technik wird Ihnen helfen bei der Stressbewältigung – nicht weniger, mehr aber auch nicht. Durch Meditation lernen Sie erst Mal, zu entscheiden, wohin Sie Ihre Aufmerksamkeit richten, und Sie lernen, das ständige Geschnatter im Kopf runterzufahren. Was Sie dann mit dem Platz, der dadurch entsteht, anfangen, steht auf einem ganz anderen Blatt, und da ist die Arbeit am Transfer entscheidend. Vielleicht brauchen Sie dazu sogar jemand, der auf diesem Weg mindestens gleichauf, besser noch ein paar Schritte voraus ist.
Auch immer wieder zu sehen: Meditation als Orden an der Brust, als weitere Bestätigung der eigenen Grossartigkeit („Seht her, wie bewusst ich bin“) – bloss um anderntags wieder als Dampfwalze durch das Unternehmen zu pflügen. Die inneren Reaktionen Ihres Umfeldes werden eher in Richtung „auch das noch“ gehen...die Faustregel: wer Achtsamkeit wirklich pflegt, macht daraus keine grosse Sache.
Achtsamkeit kann in hervorragender Weise den Boden bereiten für die persönliche Entwicklung. Sie kann es erlauben, eine akzeptierende und wertschätzende Grundhaltung und eine Qualität der Verbundenheit zu entwickeln – und zwar gleichzeitig sich selbst gegenüber und gegenüber Ihren Mitmenschen. Das unterscheidet sie von Egozentrik. Und das ist von unschätzbarem Wert für Führungskräfte, wenn es darum geht, andere Menschen emotional zu erreichen, gegenüber Versuchungen der Macht und des kurzfristigen Profits standhaft zu bleiben, umsichtige Entscheidungen zu treffen und die eigene Integrität zu wahren in hoch anspruchsvollen und komplexen Situationen.
Und last but not least ist Achtsamkeit nicht zwingend gleich Meditation. In Kombination mit stetiger Arbeit an sich selbst mit einer entsprechenden Haltung ist Achtsamkeit auch über andere Wege zugänglich: Aikido bietet einen Zugang; die Feldenkrais Methode, eine grundsätzlich an der Physik orientierte Körperarbeit, bietet einen, Leadership Coaching kann einen bieten – und vielleicht erleben Sie Achtsamkeit, wenn Sie fischen gehen, wer weiss.
Achtsamkeit? Lohnt sich durchaus, sowohl auf persönlicher Ebene wie auch aus der Perspektive von Unternehmensführung: sinkende Ausfallraten, bessere Zusammenarbeit, wirksamere Leadership, höhere Innovationsfähigkeit können daraus resultieren. Aber nehmen Sie nicht die reisserische Kurzversion – dranbleiben lohnt sich.