Die satirische Rückschau 2017

Titel in der Sonntagszeitung: „Software schützt Kinder vor Gewalt“. Na, die Software möchte ich sehen. Gehört in jedes Wohnzimmer. Ein weiteres Wunder der Digitalisierung? Beim Lesen stellt sich heraus: es ist ein online-Fragebogen für Lehrpersonen...sechs Monate zuvor in der gleichen Zeitung: „Software überführt radikale Schüler“. Wollen Sie raten? Es ist ein online-Fragebogen...nichts gegen den Wert solcher Hilfsmittel, aber man muss ja nicht gleich so tun, als sei das die neuste Disruption aus dem Silicon Valley. Ich habe übrigens eine Website, müssen Sie wissen...

Ende November konnte man in der Zeitung vom Phänomen des „Mummy Makeovers“ lesen: Frauen lassen sich gleich nach der Geburt vom plastischen Chirurgen die knackige Figur wiederherstellen. Viel schlimmer fand ich ein Phänomen, das so nebenbei erwähnt wurde: Manche Frauen lassen Wochen (!) vor dem Geburtstermin per Kaiserschnitt entbinden. Weil: „So bleibt der Bauch deutlich kleiner, denn Ungeborene legen gerade in den letzten Wochen noch ordentlich zu.“

Also im Klartext: diese Frauen entscheiden aktiv, dass ihr Kind als unterversorgte Frühgeburt zur Welt kommt, damit ihr Sixpack nicht leidet. Ja sind die denn komplett...und welcher Arzt spielt da eigentlich mit? Mir bleibt die Spucke weg.

Tagesanzeiger vom 14. November: Es gibt eine stark steigende Burnoutrate und Suizidgefährdung bei Jugendlichen aufgrund von Schulstress, leistungsorientierten Freizeitaktivitäten und Druck durch die sozialen Medien. Was denken Sie, was ein Sechsjähriger antworten würde auf die Frage, wo man ansetzen sollte? So. Und wissen Sie, was die Idee der Forschung ist? Omega-3-Fettsäuren. Den ganzen Rest finden die offenbar normal.

Zürich erhält in einer Studie von Easy Park als einzige Stadt weltweit die Höchstnote 10 für Lebensqualität. Wie das gemessen wird? Durchschnittliches Nettogehalt sowie der Betrag, der im Schnitt für Essen, Kleidung, Miete und Transport ausgegeben wird. Sonst noch was? Nein, sonst nichts, das wars. Also viel verdienen, horrende Mieten zahlen, teuer essen und Designerklamotten kaufen. Warum sagen die einem das nicht gleich in all diesen Lebensglück-Seminaren?

Und wer ist überhaupt Easy Park? Ich habe nachgeschaut. Ihre Mission: „We help drivers find a parking spot and pay for parking.” Ihre Kompetenz zum Thema Lebensqualität basiert auf…keine Ahnung. Also, ich jedenfalls.

A Propos: Rolf Dobelli hat sich mal wieder entschieden, einen Bestseller zu schreiben zu einem Thema, zu dem es kein Buch mehr braucht – und kriegt prompt ein zweiseitiges Interview in der Sonntagszeitung, in dem er sich als wahrer Weiser hervortut: es sei schon entspannend, ein wenig „fuck you money“ auf der Seite zu haben; seine Rolex habe 6000 Franken gekostet, ansonsten halte er nicht viel von materiellen Gütern. Und auf die Frage nach dem grössten Fehler seines Lebens meint er, er hätte doch Physik studieren sollen statt Wirtschaft an der HSG. Man merkt, der Mann ist leidgeprüft. Und will uns nun das (gute) Leben erklären. Ich wüsste da ein paar Andere.

Ihn gibt es auch immer noch: Philipp Riederle ist inzwischen 22 und behauptet immer noch, zu wissen, wie eine ganze Generation tickt (die ticken ja auch alle gleich, das leuchtet ein). Auf die Frage eines Journalisten, was ihn zum Generationenvertreter qualifiziere, antwortet er: „Ich reagiere auf einen offensichtlichen Bedarf und auf eine grosse Nachfrage.“ Auch wenn ich es nicht gerne schreibe, aber das Kriterium Qualifikation scheint ausgedient zu haben.

Im Tagesanzeiger vom 30. Oktober las man über Meldesysteme in Unternehmen, durch die Fehlverhalten und Leistungsmängel von Kollegen und Kolleginnen gemeldet werden können. Im Untertitel hiess es: „Die Feedbackkultur geht immer weiter...“. Damit dürfte der Begriff „Feedbackkultur“ nachhaltig und auf Jahre hinaus verbrannt sein – was viele nicht schade finden werden, weil sie ihn eh nicht mehr hören konnten. Wir haben wahrlich noch viel zu tun.

Ein Plakat aus der Werbekampagne der CSS: „Eine der schönsten Fähigkeiten des Menschen: sich gegenseitig motivieren.“ Dazu auf dem Bild eine Frau und ein Mann, beide in Sportkleidung im Unterarmstütz, und zwar in ihrem Wohnzimmer, und beide lachen sich krank (was natürlich nicht im Sinne der CSS ist). Ich war neulich im Fitnessstudio, aber das habe ich so nicht gesehen. Erster Preis für Staksigkeit beim diesjährigen Werber-Contest.

Monats-Quiz in der Sonntagszeitung vom 1. Oktober (ja, der Titel ist ein guter Lieferant für Jahresend-Blogs): „Es ist Nobelpreis-Zeit“, mit einem grossen Foto von Einstein an der Wandtafel. Man sieht sich schon scheitern an den Fragen, die in diesem Zusammenhang ja praktisch unlösbar sein müssen für Normal-Intelligente. Was andererseits auch Erwartungen weckt nach einem wahrhaft reichen Lohn für den Gewinner.

Es ist ein Möbelgutschein. Nein, nicht der sechste Preis, der Hauptpreis. Das ist mal erfrischend: kein zweiwöchiger Urlaub auf Barbados, kein Meet and Greet mit Physikprofessoren der ETH, nein, ein Möbelgutschein. Hätte man Einstein erzählt, dass er mal dafür herhalten würde...er hätte es mit Humor genommen.

Nehmen auch Sie es mit Humor, zum Weinen bleibt noch genug. Auf ein gutes Jahr 2018!

Man kann es sich nicht immer aussuchen...zoom