Leadership: Kopftreffer?

Jetzt soll also Wladimir Klitschko an der HSG dozieren zu Change und Innovation Management, wie einer Meldung vom Juni 2015 im Tagesanzeiger zu entnehmen war. Er habe in seinem Berufsleben Strategien entwickelt, die auch in der Wirtschaft gefragt seien. Seine Aussage dazu: „letztlich geht es um Ausdauer, Beweglichkeit, Koordination und Konzentration.“ Wetten, dass bald ein Buch erscheint mit dem Titel „das Klitschko-Prinzip“?

Change? Na ja, stimmt schon: wenn ich mit Klitschko in den Ring steige, bin ich danach wohl nicht mehr derselbe. Innovation? Kann ich brauchen bei der Suche nach Fluchtwegen, aber heisst es nicht immer, Kreativität braucht Musse? Fällt mir bei Klitschko nicht als erstes ein.

Wie absurd kann es eigentlich noch werden? Wie lange wollen wir dieses martialische harte-Burschen-Helden-Modell von Leadership noch zelebrieren?

Okay, es scheint sexy zu sein, Berühmtheiten aus dem Sport einzuladen, auf dass ihre Siegermentalität abfärbe auf das eigene Management. Evelyn Binsack erzählt Führungskräften, wie nah man auf dem Everest daran ist, den Löffel abzugeben; Konzernleitungen lassen sich von Ralph „Endorphin“ Krüger euphorisierieren für einen Nachmittag („An Einzelheiten kann ich mich nicht erinnern, ging alles so schnell, aber war spektakulär. Tolle Sache.“).

Ich habe nichts dagegen, wenn man sich mal für ein paar Stunden von aussergewöhnlichen Menschen inspirieren lassen will. Bloss: was ist denn da genau die Message? Halte durch, selbst wenn du am abkratzen bist? Hilf niemandem in der Todeszone? Schlag deine Gegner zu Brei? Ich dachte, wir sind gerade dabei, uns von den Kriegs- und Kampfmetaphern zu lösen.

Dabei ist die Kompatibilität von Spitzensportlern mit einem normalen Berufsleben in einer Organisation etwa so hoch wie die eines Ex-Marines mit einem Bocciaclub. Leistungssportler erleben da erst mal einen Kulturschock: plötzlich sind alle um sie herum so lahm und reagieren auch noch mimosenhaft, wenn man ihnen deshalb die Meinung sagt...das gibt dann Leadership mit dem Holzhammer. Ausser man hat eine Faust wie Klitschko, dann reicht auch die.

Ich habe selber jahrelang Leistungssport betrieben, und ich möchte weder die Zeit missen noch das, was ich dort gelernt oder vertieft habe. Um jedoch eine erfolgreiche Führungskraft zu werden, musste ich eine ganze Menge anderer Dinge lernen, zum Beispiel Menschen zu gewinnen, die nicht primär angetreten sind, um ihr ganzes Leben der Höchstleistung unterzuordnen.

Und da gibt es ja durchaus Sportler, die auch das vermitteln können: solche, die erst richtig gut wurden, als sie mit sich selbst ins Reine kamen, andere Facetten ihrer Persönlichkeit entwickelten als die rein leistungsbezogenen und als Menschen reiften. Es gibt durchaus einiges zu lernen von Sportlern und ihren Coaches; warum sich alle dauernd auf martialischen und heroischen Aspekte stürzen, ist mir schleierhaft. Als hätten wir nicht schon genug Burnout-Fälle.

Die Sportwelt an der Spitze ist ein absolut gnadenloses Umfeld. Es produziert eine riesige Dunkelziffer an psychischen Störungen bei Sportlern, die an diesem Druck zerbrechen: Depressionen, Esstörungen, Burnout, Angstattacken. Von der Seite muss sich die Wirtschaft nun wirklich nichts abgucken.

Harte Helden zu sein, wird in Zukunft nicht genügen. Diese Qualitäten haben wir genug trainiert, daran mangelt es nicht. Es sind andere Dinge, die uns vorwärtsbringen.

Leadership ohne Heldenzoom