Organisationsentwicklung – was ist eigentlich mein Job?

Kaum ein Beruf, in dem nicht darüber geklagt wird, dass für den „eigentlichen Job“ immer weniger Zeit bleibt wegen den vielen Nebenaufgaben: ständig in Sitzungen sitzen, Besprechungen abhalten, Formulare ausfüllen – beim blossen Zuhören kriegt man einen Eindruck davon, wie sich ein Erstickungstod anfühlt.

Manchmal klingt da allerdings auch eine Auffassung des eigenen Jobs durch, die zu kurz greift. So was wie eine Eremiten-Version des Selbstverständnisses: ich ziehe die soziale Systemgrenze bei mir selbst. Aber das funktioniert nicht: Menschen aus verschiedenen Disziplinen werden ja nicht angestellt, damit sie alle autonom-autistisch vor sich hin spezialisieren. Da landet man bei der Monthy Python-Disziplin „Hundertmeterlauf für Menschen ohne Orientierungssinn“. In Organisationen führt das zu dauerndem Frust, individuell und kollektiv, die Leistungsfähigkeit leidet, das allgemeine Klima auch. Sackgasse. 

Das Eremiten-Selbstverständnis basiert auf einem Denkfehler. Als würde es nicht zum Job gehören, die Vernetzung mit anderen Jobs zu berücksichtigen und einen Beitrag an das Ganze zu leisten. Tut es aber.

Ich schlage als Alternative vor, einen „Job“ grundsätzlich als etwas zu betrachten, das aus zwei Teilen besteht: der Kernaufgabe einerseits, und einem Teil, der „einander helfen“ heisst.

Egal wie lästig eine bestimmte Arbeit sein mag: Irgendwem helfen Sie mit ihr, für irgendwen (im Idealfall wissen Sie sogar, für wen) generieren Sie Mehrwert – vielleicht sogar für die Kunden. Und bevor jetzt alle Ärzte den hippokratischen Eid in den Wind schiessen und mir an die Gurgel gehen: Ich sage ja nicht, dass das Gefühl der Sinnlosigkeit von administrativen Aufgaben immer unbegründet ist, ich sage nur, es ist genau zu prüfen. Wenn eine Tätigkeit tatsächlich nirgends vernünftigen Mehrwert generiert, ist sie zu streichen, punktum. Wenn aber doch, seien Sie froh und zufrieden: Jemandem helfen ist eine gute Sache. 

Ich meine das Ernst: Mit einem solchen Perspektivenwechsel steigt die Sinnhaftigkeit mancher Tätigkeit sprunghaft an, nicht zu reden von der Chance, dass sich ein Gefühl entwickelt, gemeinsam an etwas Grösserem Ganzem zu arbeiten. 

Ich bin ja beim Konzept „Reframing“ oft skeptisch, weil das manchmal so klingt, als wäre das in zwei Sekunden erledigt und alles ganz einfach. Aber mit einem ernsthaften Fokus auf den Sinn, das Nützliche, den Mehrwert und den guten Willen gegenüber Arbeitskolleginnen und -kollegen glaube ich, könnte eine Neuinterpretation tatsächlich Vieles fundamental verändern.

Nun sind Mitarbeitende nicht die einzigen, die Denkfehler machen. Die gibt’s auch bei Vorgesetzten, nur anders geartet: sie sind zwar schon der Meinung, dass Vernetzungstätigkeiten ganz klar zum Job gehören. Aber sie scheinen zu glauben, dass die keine Zeit benötigen. Oder sie tun einfach so, das ist von aussen schwer zu unterscheiden. Fatal ist es in beiden Fällen: magisches Denken bei Managern weckt ja nicht gerade Vertrauen in ihre Urteilskraft, und Verleugnung der Realität auch nicht. Und dass Mitarbeitende bei Zeitmangel die Kerntätigkeit wählen und nicht die Vernetzung, ist naheliegend und vielleicht sogar das Klügste. Das kann man ihnen dann auch nicht um Vorwurf machen.

Deshalb Frage an die Vorgesetzten: Gestalten Sie die Ressourcenplanung so, dass sämtliche Zeit bereits mit den Kernaufgaben aufgebraucht ist? Oder gestalten Sie sie gar nicht und schaufeln einfach mal rein (magisches Denken II: „das wird dann schon gehen“)? Dann muss ich Ihnen mitteilen, dass die Chance gut ist, die Organisation an die Wand fahren, und die Menschen darin gleich mit, denn im Verschleissmodus überlebt nichts sehr lange.

Also, Management-Summary: würdigen Sie, dass Sie einander helfen. Streichen Sie, was niemandem hilft. Und planen Sie so, dass zum Helfen auch Zeit bleibt.

ohne die anderen geht nichts.zoom