Organisationsentwicklung: Widerspruch oder Spannungsfeld?

Innovationsfreude predigen, dann aber das Scheitern strukturell bestrafen? A sagen und B tun? Feedback fordern und es, wenn es dann kommt, abschmettern? Querdenker einladen und wenn sie dann da sind, sich über sie aufregen, weil sie alles durcheinanderbringen?

Double Binds, Brüche in der Konsistenz der Signale, die man sendet, widersprüchliche Impulse: sie nerven, demotivieren, beschädigen das Vertrauen in die Führung und ineinander, verunsichern, und im schlimmsten Fall sind sie Nährboden für Zynismus in seiner ganzen zersetzenden Wirkung.

Führungskräfte sind also gut beraten, Widersprüche möglichst zu vermeiden. Schön und gut und richtig. Das Gefühl, sehr unterschiedlichen Impulsen gerecht werden zu müssen, wird damit aber nicht verschwinden. Was jedoch echt helfen kann, ist die Unterscheidung zwischen Widersprüchen und Spannungsfeldern. Eine lohnenswerte Unterscheidung für die
Organisationsentwicklung.

Es handelt sich um einen Widerspruch, wenn zwei Kräfte in unterschiedliche Richtungen wirken und dabei mindestens eine dieser beiden Kräfte nicht die übergeordnete Richtung von Leadership unterstützt. Es handelt sich um ein Spannungsfeld, wenn zwei Kräfte zwar in verschiedene Richtungen zeigen, beide jedoch im Dienste der übergeordneten Interessen des Ganzen stehen. Zum Beispiel: Ein Trennungsprozess muss einerseits so langsam sein, dass er der betroffenen Person eine faire Chance zugesteht; er muss aber auch so schnell sein, dass man sich in nützlicher Frist trennen kann, bevor grosser Schaden entsteht, zum Beispiel bei destruktivem Verhalten.

Der entscheidende Unterschied: Widersprüche lassen sich vermeiden oder beheben, Spannungsfelder lassen sich nur balancieren. Das Gefühl der Spannung können wir uns also nicht ersparen – „Es tut uns leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass diese Hoffnung vergebens ist“.

Das ist nicht weiter schlimm; richtig stressig wird es nur, wenn Sie die beiden Dinge verwechseln. In beide Richtungen kommt nicht viel Gutes dabei raus:

  • Sie halten ein Spannungsfeld für vermeidbar, und mühen sich beliebig ab, um es wegzumachen, was aber chancenlos und deshalb ermüdend und frustrierend ist.
  • Oder Sie versuchen verzweifelt, in einem Widerspruch eine Balance zu finden, was aber nicht geht, weil es halt ein Widerspruch ist. Ebenfalls ermüdend und frustrierend...

Die Unterscheidung des einen vom anderen ist sehr nützlich, wenn auch nicht immer einfach. Nicht selten entpuppt sich etwas, das auf der einen Ebene als Widerspruch erscheint, auf einer übergeordneten Ebene als Spannungsfeld.

Stichwort Matrix: eine Matrix ist die formale Abbildung von Spannungsfeldern. Wenn nun die Vertreter von Matrix-Achsen ihre Interessen als absolut betrachten, muten sie die Balance dieser Spannungsfelder den Schnittpunkten der Matrix zu und verunmöglichen sie gleichzeitig – viel Glück dabei. Sicher kein Beitrag zur Beliebtheit von Matrix-Organisationen...

Wenn es aber gelingt, Widersprüche zu minimieren und Spannungsfelder im fortlaufenden Dialog zu balancieren, dann wird in einer Organisation Energie in die richtigen und wertschöpfenden Diskussionen investiert, und dann sind die auch keine Belastung. Richtig nerven tun ja nur die Diskussionen, bei denen nichts herausschaut. Gute
Organisationsentwicklung kann also defiinitiv auch Stress abbauen.

Spannungsfelder gehen nicht weg. Das gilt es zu akzeptieren. Wer das hinkriegt, hat weniger Stress.

Und überhaupt: ein spannungsfreies Leben ist doch wie ein spannungsfreies Game: zu Beginn angenehm, aber eher früher als später vollkommen uninteressant. Lassen Sie uns also hoffen, dass es spannend bleibt.

was ist was? Manchmal schwer zu entscheiden.zoom