Das Verhältnis von Managern zu Emotionen ist, sagen wir mal, angespannt. Immer noch werden sie als Hindernis angesehen, das guten Entscheidungen im Wege steht – die Emotionen, meine ich.
Allerdings erstaunt das im Zeitalter von Big Data, denn Emotionen sind – unter anderem – schliesslich genau das, nämlich big data. Mit Emotionen verarbeiten wir immense Mengen von Information in Millisekunden – wäre doch schade, diese Fähigkeit nicht zu nutzen, oder? Allzu oft wird das Kind mit dem Bade ausgeschüttet, wenn Führungskräfte versuchen, sich Emotionen vom Leibe zu halten, die eigenen und diejenigen von Gesprächspartnern. Die Mantras sind bekannt: „Lass uns jetzt nicht emotional werden, lass uns rational bleiben, lass mich mit deinen Problemen in Ruhe, hier geht’s um Business.“
Ganz blöd ist das ja nicht, denn kein Reflex, der nicht an irgendeinem Körnchen Berechtigung andockt: Man kann Mitarbeitende beispielsweise dabei unterstützen, mit Veränderungen umzugehen und sich mit ihnen anzufreunden. Der grösstmögliche Beitrag von Führungskräften dazu besteht darin, Veränderungen mit Transparenz, Integrität und Partizipation zu führen. Letztlich müssen Mitarbeitende diesen Weg jedoch selbst gehen, und diesen Eigenanteil darf man auch von ihnen erwarten. Und ja, natürlich gibt es auch neurotische Endlosschleifen, die nirgendwohin führen, bei denen es keinen Sinn macht, allzu lange in deren Saft zu schmoren und deren Lösung Privatsache ist. Allerdings – kleiner Tipp für die Gesprächsführung – möchten selbst diese Emotionen erst mal gehört werden, und zwar empathisch, bevor man sie zur Privatsache erklärt, und auch das kommt besser, wenn Sie es mitfühlend tun.
Aber aufgepasst auf die Sache mit dem Kind und dem Bade: ein schöner Teil von emotionalen Reaktionen sind absolut adäquate Antworten auf äussere Gegebenheiten, und hier wird es rasend interessant. Auf dieser Ebene sind wir blitzschnell und äusserst treffsicher darin, Beziehungsmuster und strukturelle Botschaften zu entschlüsseln: Mustererkennung vom Feinsten. Menschen spüren oft, dass irgendwo ein Wurm drinsteckt, lange bevor sie benennen können, wie er heisst. Das hören Sie dann als Führungskraft vielleicht erst mal nicht gerne, aber genau in dem Moment könnte es sich lohnen, sich Zeit zu nehmen und tiefer zu graben.
Wenn Sie sich emotionalen Reaktionen gegenüber verschliessen, verpassen Sie sehr viele relevante Informationen. Wenn Sie sich diese Informationsfülle aber erschliessen, erhalten Sie womöglich wertvolle Hinweise auf strukturelle Mängel in Ihrer Organisation. Diese Hinweise eröffnen wiederum Zugänge zu intelligenten Verbesserungsmassnahmen. Vielleicht gelingt es Ihnen so, strukturelle Effizienzbremsen auszubauen oder Prozesse und Regelungen so zu modifizieren, dass sie ihren Zweck mit weniger schädlichen Nebenwirkungen erfüllen und erwünschtes Verhalten begünstigen.
Die hohe Kunst besteht natürlich darin, die persönlichen und für das Unternehmen weniger relevanten Anteile von emotionalen Reaktionen von den „strukturell adäquaten“ zu unterscheiden. Aber man kann ja mit den Leuten reden. Die meisten sind durchaus bereit, sich auf eine solche Reflexion einzulassen, wenn sie die berechtigte Hoffnung haben, dass beide Teile ernst genommen werden. Und nebenbei: die Unterscheidung zwischen relevanten und irrelevanten Daten ist ja durchaus auch bei Big Data von Bedeutung. Man hat bereits Beispiele gesehen, bei denen AI-Systeme bestehende Diskriminierungen, die sich in Daten niederschlagen, als Referenz verstanden haben und begonnen haben, Empfehlungen im Sinne der gängigen Vorurteile abzugeben...
Nebenwirkungen wird es immer geben, aber Medikamente verbieten wir ja deswegen auch nicht. Also immer schön achtsam bleiben, dann stossen Sie immer wieder auf eine Goldmine. Da ist es im Privatleben und im Business dann doch wieder ähnlich: am Umgang mit Emotionen kann man immer arbeiten, zum Beispiel im Rahmen von Leadership Coaching. Man schwitzt vielleicht Wasser und Blut dabei, aber langfristig lohnt es sich.