Setzen Sie sich mal in ein Auto, fahren Sie mit achtzig Kilometern pro Stunde quer durch Zürich und starren Sie dabei permanent auf die Strasse drei Meter vor Ihnen.
Na, klingt das attraktiv? haben Sie Lust? Haben Sie natürlich nicht, Sie sind ja nicht wahnsinnig. Manche Augenzeugenberichte aus Unternehmen legen aber nahe, dass das keine schlechte Umschreibung dessen ist, was immer wieder in Organisationen abläuft.
Wie oft sollten Sie den Blick heben, wenn Sie durch Zürich fahren? Einmal? Zweimal? Natürlich öfter, ständig natürlich, und selbstredend sind achtzig Kilometer pro Stunde zu schnell. Also: Innehalten und vorausschauen ist angesagt, und zwar egal, ob Sie ein Auto oder ein Unternehmen lenken.
Nun gut, „innehalten“ ist vielleicht ein bisschen viel verlangt von einem Raser, nach dem Motto „alles unter hundert ist geparkt“. Analoge Gegenargumente kommen einem auch aus Organisationen entgegen: „Langsamer geht nicht, sonst sind wir sofort weg vom Fenster. Die Konkurrenz schläft nicht.“
Aber jetzt mal rein logisch: wenn Sie das sagen und dabei im Rasermodus sind, folgt doch daraus, dass Ihre Mitbewerber auch in diesem Modus sind, denn komplett inkompetent sind Sie wahrscheinlich nicht. Nun ist es aber so: wenn Sie langfristig unterwegs sein möchten, können Sie nicht ständig am Limit laufen, das hält kein Mensch und keine Organisation aus. Ihre Konkurrenten auch nicht.
Wenn also Ihre Konkurrenten alle am Rasen sind, könnte es eine Option sein, vom Gas zu gehen und abzuwarten, bis alle in die Wand gefahren sind, um sie dann ganz entspannt zu überholen.
Zugegeben, das verlangt einigen Mut: den Mut zur Verzögerung und zum kurzzeitigen Rückstand. Ein Verhalten, das nicht so leicht zu verkaufen ist. Hektische Betriebsamkeit – sprachlich smart kaschiert als voller Einsatz, Extrameile usw. – scheint zuweilen in der Businesswelt eine höhere soziale Akzeptanz zu geniessen als in Ruhe nachzudenken. Aber Management by Luftheuler bringt’s ja auch nicht: abgehen wie eine Rakete, und alles endet in einem grossen Knall...
Was heisst denn innehalten und vorausschauen? Es bedeutet schlicht Arbeit am System statt im System – vielleicht wird Organisationsentwicklung ja deshalb so sträflich vernachlässigt: kein Mensch will innehalten. Es braucht Reflexion der Art und Weise, wie Zusammenarbeit abläuft; herausfinden, wo Sie, wahrscheinlich in bester Absicht und ohne es zu merken, strukturelle Hindernisse aufgebaut haben, die Effizienz, Innovation und Kooperation behindern; Bedingungen schaffen, unter denen sich das volle Potential Ihrer Mitarbeitenden entfalten kann. Da sind die grossen Hebel für Organisationsentwicklung, da können Führungskräfte den Impact haben, der ihren Lohn rechtfertigt. Wenn dafür keine Zeit bleibt, läuft etwas falsch.
Wer im Verkehr beim Rasen erwischt wird, wird gebüsst und verliert auch schnell mal den Führerschein. Wieso ist das im Management eigentlich straffrei? Punkto Gefährdung Dritter überflügeln Sie jeden Strassenrowdy locker.
Sie kennen das Sprichwort mit dem toten Pferd. In diesem Sinn: Wenn Sie das Gefühl haben, dass Ihnen nichts anderes übrigbleibt, als mit gesenktem Blick durch die Gegend zu rasen…steigen Sie aus, bevor es crasht, denn Cruiser leben länger.
Länger leben und erst noch mit höherer Qualität – hört sich doch nicht schlecht an, oder? Und wenn jemand denkt, so kann man keine Topleistungen erbringen: ich wette dagegen.