Organisationsentwicklung: Die Kultur auf der Dessertkarte

„Welche Kultur haben Sie in Ihrem Unternehmen?“ Klingt ein bisschen wie „welches Auto fahren Sie denn?“ oder „Welches Parfüm benutzen Sie?“. Die letzteren Fragen sind schnell beantwortet: „Ford Focus.“ „Chanel.“

Bei der Kultur wird’s da schon schwieriger. Was soll man sagen? Die kurzen Antworten sind so furchtbar plakativ und nichtssagend: „Wir haben eine Leistungskultur.“ „Wir haben eine Kultur der Exzellenz.“ „Wir haben eine Innovationskultur.“ „Wir haben eine Startup-Kultur.“ Soso. Interessant. Oder eben nicht.

Beim Thema Kultur gibt es eine eigentümliche Zweigleisigkeit: auf der einen Seite sind sich alle einig, dass sie einen absolut zentralen Stellenwert hat und entscheidend zu Erfolg oder Misserfolg beiträgt. „Culture eats Strategy for Breakfast“, wie Herr Drucker das formuliert.

Auf der anderen Seite kommt das Thema in der Praxis meist wie ein Vampir-Opfer daher: blutleer und bleich. Und dies oft, weil man sich dabei zu sehr im Mittelbereich tummelt:

Im mehr oder weniger stressfreien Alltag sieht man da nämlich keine grossen Unterschiede: man hält sich an die Konventionen unserer Breitengrade punkto Anstand und an den guten Business-Ton: man grüsst sich nett, pflegt einen locker-positiven Schreibstil im Mailverkehr, gibt sich offen für Veränderungen, freut sich auf Feedback, man rülpst nicht öffentlich, lächelt, ist smart und lösungsorientiert. Der Alltag ist geprägt von Normen und den Leitplanken sozialer Akzeptanz, was den Umgang miteinander relativ vorhersehbar macht.

Und relativ ereignislos. Und vielleicht auch ein bisschen langweilig.

Spannender wird’s, wenn man sich den Rändern nähert, wenn Dinge schiefgehen, wenn Konventionen gedehnt oder verletzt werden. In der immer noch relativ harmlosen Zone geht es dann um Kritik an der Leistung, verpasste Termine oder unorthodoxe Kleidung (und wenn jemand glaubt, dass betrifft nur verstaubte Grosskonzerne, der irrt: selbst das Silicon Valley hat seine Uniform bestehend aus Jeans, Turnschuhen, T-Shirt und Hoodie).

Definitiv aufregend wird es beim Scheitern von wichtigen Projekten, beim Verlust eines Schlüsselkunden, bei Umsatzeinbrüchen. Dann zeigen sich unter Umständen überraschende Erklärungsmodelle und Reaktionsmuster, die morgens um neun am Kaffeeautomat noch einiges intelligenter und zivilisierter daher kamen.

Da ist es ähnlich wie im Dorfleben: morgens beim Bäcker kommen alle prächtig aus, aber wenn der Nachbar nachmittags mit einer Fahne herumläuft, wenn der Gemeinderat seinen Job verliert, oder der Bankprokurist mit einer dunkelhäutigen Freundin auftaucht, kommen andere Dimensionen zum Vorschein.

Kultur ist wie Tiramisù: vielschichtig. Je nach Art und Ausprägung der jeweiligen Situation werden kulturell spezifische Reaktionen hervorgerufen. Wenn Sie sich mit Organisationsentwicklung auseinandersetzen, tun Sie also gut daran, die Schichten zu differenzieren und zu beobachten, was in Situationen geschieht, bei denen es um Konflikte, abweichendes Verhalten und Bedrohungen geht. Dort wird es spannend. Organisationsentwicklung bedingt immer, sich den heiklen Themen zu stellen.

Es gibt eine Tendenz, in den Schablonen des Mittelbereichs zu verharren. Eigentlich schade, denn dort passiert nicht viel: erst jenseits der Schablonen zeigen sich Vitalität, Einzigartigkeit, Resilienz und Veränderungsfähigkeit.

Also machen Sie es wie beim Tiramisù: graben Sie tiefer, erst dann wissen Sie wirklich, was ein Tiramisù ausmacht – oder eben Ihre Kultur.

Corporate Leadership formt Kulturzoom