„Wir müssen die Firmenkultur entwickeln.“ „Wir müssen eine Innovationskultur installieren.“ „Wir müssen eine Kultur der Agilität durchsetzen.“ Schon mal gehört?
Klingt ähnlich plausibel wie „wir müssen unseren Kindern Elternliebe einbläuen“: das geht schon im Ansatz schief.
Die entscheidende Abzweigung steckt schon im sprachlichen Detail, nämlich in der Differenzierung von Subjekt und Objekt: „Wir entwickeln die Kultur.“ Das schafft eine subtile Distanzierung. Von dort ist es nur noch ein kleiner mentaler Schritt, anzunehmen, dass „ich“ und „die Kultur“ zwei getrennte Dinge sind, und wenn das alle denken, wird die Kultur zur Vollwaise.
Erst dann kann man auf die Idee kommen, das Thema zu delegieren, vorzugsweise an HR. Im günstigen Fall delegiert HR zurück, im ungünstigen wird damit ein kollektives Frustrationserlebnis losgetreten, dass gut und gern einige Jahre nachwirken kann.
Denn da lauert schon die nächste Spaltung: Führungskräfte versus Mitarbeitende, sehr beliebt. „Wir müssen unsere Mitarbeitenden befähigen...“ – ja und was ist mit Euch? Und wer muss da mit wem was genau machen? Die Spaltung zwischen sich selbst und der Kultur oder zwischen Kader und Mitarbeitenden ist ähnlich absurd wie das Neuro-Konzept „ich und mein Gehirn“...Fritz Perls würde sich im Grab umdrehen. Von Eigenverantwortung und Co-Kreation keine Spur.
Wenn Mitarbeitende das Gefühl kriegen, sie werden vom Management kulturell bearbeitet, ziehen sie sich schnell mal in den Schützengraben zurück, mit den klassischen Parolen wie „die da oben sollen erst Mal mal schauen, dass sie selber unsere Werte leben“, „da passiert ja eh nichts“, „auch das geht vorbei“. Alles X-mal gehört, alles unglaublich unproduktiv und anstrengend. Organisationsentwicklung gelingt nur gemeinsam.
Kultur ist – unter anderem – geronnene Haltung, die sich irgendwann mit systemischer Beharrungs-tendenz selber aufrecht erhält. Deshalb ist Haltung auch das Medium, mit sie beeinflusst werden kann, und das wirft sowohl Management wie Mitarbeitende letztlich auf sich selbst zurück, denn Haltung ist gefragt von jedem und jeder Einzelnen.
Organisationsentwicklung ist immer ein kollektives Unterfangen und kann deshalb nur im Dialog, oder noch besser im Multilog geschehen, in einer gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Frage, wie man denn mit sich selbst und anderen umgehen möchte und wie die Zusammenarbeit gestaltet werden soll. Ein solcher Prozess wird getragen durch das Beispiel, das die Beteiligten im Alltag geben.
Deshalb bedeutet Kultur entwickeln, gleichzeitig sich selbst zu entwickeln. Da ist kein Platz für die Auftrennung in Lager, in Beteiligte und Aussenstehende, in Architekten und Bauklötze. An die Stelle von „wir müssen die Kultur entwickeln“ tritt „wir müssen uns kulturell entwickeln“. Rein sprachlich vielleicht spitzfindig, in der Haltung aber ein Klassenunterschied.
Eines geht dann nicht mehr, nämlich mit dem Finger auf andere zeigen. Mitarbeitende, die sich über die Kultur beschweren, sollen sich fragen, wie sie dazu beitragen, diese Kultur aufrecht zu erhalten. Wer ist denn IBM? Jede Person, die für IBM arbeitet. „Wir sind das Volk?“ Aber klar.
Führungskräfte sind dabei ganz besonders gefragt, denn sie haben überproportionalen Einfluss, und es wird nie eine Organisationskultur geben, die weiter entwickelt ist als die Kultur ihrer Führungskräfte. Wenn aber eine reife Kultur blüht und lebt, kann sie dazu beitragen, dass Menschen, die in sie eintreten, persönlich wachsen. Dann sieht es gut aus für alle Beteiligten, und auch für die Zukunft.