Organisationsentwicklung: Nirgendwohin mit hochrotem Kopf

Ein bisschen anstrengen sollte man sich schon, oder? Man kriegt ja den Lohn nicht umsonst. Doch, da darf der Arbeitgeber schon ein bisschen was erwarten, ein bisschen Unternehmergeist, ein bisschen Identifikation und Loyalität. „Wir brauchen Mitarbeiter, die die Extrameile gehen!“ Klingt doch gut.

Ist auch gar nicht nur falsch, bloss blöd, wenn es sich zum rekursiven Brandbeschleuniger auswächst: Regel eins: Du musst die Extrameile gehen. Regel zwei: Jede Extrameile wird sofort integriert in den Bereich von „das setzen wir voraus“. Dann gehe zurück zu Regel eins...

In dieser Situation gibt’s zwei Varianten. Variante eins: Ihre Leistungsfähigkeit nimmt exponentiell ab, Sie werden zunehmend gelähmt, erreichen rasch die Geschwindigkeit eines Bergsteigers in der Todeszone und driften stetig in die Erschöpfungsdepression. Variante zwei: Sie gehen ab wie ein Luftheuler und enden auch so: mit einem grossen Knall. Die Endstation ist die gleiche. Das ist keine pietätlose Anspielung auf Suizide, sondern auf Situationen, in denen Leute mitten in einer Sitzung in Tränen ausbrechen und nicht mehr aufhören können zu weinen. Gibt’s öfter als Sie denken.

Was richtig bitter ist: es besteht eine reelle Chance, dass ein Grossteil der Anstrengung vollkommen fehl am Platz war. Alle sind sich darüber einig, welche Phänomene das Managerleben heute prägen: Komplexität, steigender Druck auf Innovation, Pflege der eigenen Balance, VUKA, Pipapo. All diese Dinge haben eines gemeinsam: sie sind im Leistungsmodus nicht zu beherrschen.

Entscheidungsfindung im Team auf der Basis von Bergen von Daten, die dennoch nur begrenzte Information liefern, Denken im Kreativmodus, im persönlichen Gleichgewicht bleiben, die eigene Integrität pflegen: dabei werden Dinge wichtig wie geschulte Intuition und Kontemplation – für viele Manager exotisch –, und die vertragen sich nicht mit dem Hamsterrad-Modus. Persönliche Reife hat noch niemand bei Puls 220 erreicht.

Der Umgang mit Komplexität ist allzu oft geprägt davon, einfach noch schneller zu rennen, dabei wäre das Gegenteil viel effektiver, nämlich ein gekonnter Umgang mit unserer intuitiven Fähigkeit, grosse Datenmengen schnell zu verarbeiten. Dazu sind Methoden gefragt, in denen viele noch sehr ungeübt sind, wie zum Beispiel Scharmer’s Theorie U, oder ein Einbezug von Forschungsresultaten, wie sie Kahneman liefert, um an den potentiellen Vezerrungen unserer Intuition vorbeinavigieren zu können. Hier liegen die echten Potenziale für Organisationsentwicklung.

Angesichts einer VUKA-Welt nützt es herzlich wenig, sich dauernd im roten Drehzahlbereich auszukotzen. Das führt bloss zu einem Paradox: der Leistungsmodus schmälert die Leistung. Daraus lässt sich eine – zugegebenermassen etwas unappetitliche – Checkfrage ableiten: werden in Ihrem Unternehmen die grossen Bögen gedacht oder gekotzt?

Logisch braucht es Leistungsbereitschaft, logisch geht es nicht darum, nach exakt acht Stunden das Gebäude zu evakuieren, aber im Overdrive gibt es keine Kreativität, und ohne Kreativität gibt es keine Innovation. Es bleibt also nichts anders übrig, als sich mit Kontraintuitivem wie z.B. Müssiggang während der Arbeitszeit anzufreunden, und Qualitäten wie Erholungsfähigkeit aktiv zu entwickeln, da es heute keine explizit ruhigen Zeiten mehr gibt, und so Räume zu öffnen für intelligente Produktivität. Das ist gefragt, wenn Organisationsentwicklung gelingen soll.

Den richtigen Rhythmus zu finden zwischen Adrenalinrausch und Pause mit Jause, ein gesundes Atmen in der Organisation zu ermöglichen, ist nicht trivial, aber lohnenswert. Dann gibt’s auch weniger hochrote Köpfe und mehr grosse Bögen – und zwar die richtigen. 

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