Organisationsentwicklung: Change Maker und Hürdenläufer

Leichtathleten haben es gut: Hürden gibt’s erst nach der Startlinie, in sauber definierten Abständen, keine Überraschungen. In Changeprojekten ist das anders: die ersten Hindernisse stehen schon vor dem Beginn im Weg, mal abgesehen von der Schwierigkeit, überhaupt eine sichtbare Startlinie auszumachen...

Mindestens vier Hürden sind zu nehmen, wenn überhaupt etwas in Gang kommen soll. Man kann sie in vier Fragen fassen, die alle auch ein Test für die Firmenkultur sind, und Sie brauchen vier Mal ein Ja:

Erstens: „Gibt es ein Problem?“ Haben Sie schon mal versucht, jemanden für ein Changevorhaben zu gewinnen, der diese Frage mit Nein beantwortet? Das klingt banal, aber spätestens seit den legendären Auftritten des irakischen Informationsministers ist deutlich, in welchem Ausmass manche Leute die Augen verschliessen können: kein Problem, kein Handlungsbedarf.

Zweitens: „Ist es (auch) mein Problem?“ Ein Nein zu dieser Frage wirkt besonders fatal, Sie haben dann nämlich ein Problem, aber niemand, der sich dafür zuständig fühlt, was wieder ein eigenes Problem ist... „die vom Einkauf sollen erst mal...“, „an mir liegt’s ja nicht...“ sind häufige Soundtracks zu diesem Film.

Drittens: „Ist das Problem lösbar?“ Ein Nein zu dieser Frage führt in den Totstellreflex, in die Lethargie, in die Panik – oder dazu, zu Frage zwei im Nachhinein doch lieber Nein zu sagen...alles nicht sehr innovativ. Ein Minimum an Zuversicht ist nötig, und manchmal ist das leicht gesagt.

Viertens: „Verfüge ich über die Fähigkeiten und Ressourcen, das Problem zu lösen?“ Wenn Sie mit Nein antworten und auf sich gestellt sind, geraten Sie leicht in Angst: Angst um Ihre Leistungsbeurteilung, Angst um Ihre soziale Position im Unternehmen, um Ihre Karriere, um Ihren Job. Deshalb ist es für einzelne Personen oft kaum leistbar, ein Nein zu Frage vier offen zu äussern.
Vier Mal Ja, und dann geht’s überhaupt erst an den Start – Hürdenläufer haben da im Vergleich echt nichts zu jammern.

Nun gibt immer wieder besonders action-orientierte Entscheider, die die vorgelagerten Hürden ignorieren und mit der Startpistole um sich schiessend durch das Unternehmen stürmen – kein Wunder, sind die Reaktionen oft nicht sehr geordnet. Sowas versprengt die Mitarbeitenden in alle Richtungen, und das kann man ihnen nicht mal verübeln: in Security-Trainings lernt man schliesslich, dass man mit Amokläufern nicht reden kann; da bleibt nur, sich in Sicherheit zu bringen.

Jede der vier Gretchenfragen hat neben der persönlichen natürlich auch eine kulturelle Komponente, die Organisationsentwicklung jeweils erleichtern oder auch erschweren kann:

  • Erstens: Wo sind die blinden Flecken und Scheuklappen in Ihrem System? Wie gut gelangen ungeliebte Signale in die Führungsetage, und werden ihre Überbringer erschossen, überleben sie, oder – go wild – werden sie gar belohnt?
  • Zweitens: Gibt es eine Mentalität des Zuständig-Seins – im Top Management, im Kader, in der Breite der Belegschaft? Oder wird mit Vorliebe delegiert, selbst das, was nicht delegierbar ist?
  • Drittens: Welche Rahmenbedingungen gibt es für zuversichtliche, offene, sogar gewagte Lösungssuche? Wo weiden die heiligen Kühe und stehen im Weg?
  • Viertens: Gibt es eine Kultur der Akzeptanz und der gegenseitigen Unterstützung? Wie riskant ist es in Ihrer Organisation, die eigenen Grenzen offen zu legen?

Lassen Sie die Startpistole erst mal stecken – wenn Sie die Hürden vor dem Start nehmen, brauchen Sie sie vielleicht gar nicht, weil Ihre Leute sich dann von selbst bewegen.

ausnahmsweise neun Zentel über dem Wasser...zoom