Organisationsberatung:
Systemisch ist nicht genug

Man muss die Dinge heute systemisch betrachten, da sind sich ja alle einig. Vorbei die Zeiten der einfachen Erklärungen, auch wenn es aus dem Blätterwald oft so ruft: „Der Dow Jones fällt, weil der Dollar fällt.“ „Mario Draghi rettet den Euro!“. Quatsch, die Zusammenhänge sind viel komplexer. Aber den Medien seien ihre reduktionistischen Überschriften verziehen, denn sie müssen ihren eigenen Regeln folgen, und eine komplexe Schlagzeile ist nun mal keine mehr.

Auch Unternehmen sind komplex: Das Verhalten und die Leistung von Menschen in Organisationen werden weit stärker durch strukturelle Gegebenheiten beeinflusst als durch den Charakter oder die Fähig-keiten dieser Menschen. Die Struktur bestimmt massgeblich, welcher Teil des Verhaltensrepertoires er-blüht und welcher verkümmert. Deshalb bringt es auch nichts, bei auftrauchenden Problemen die Mitar-beitenden auszuwechseln – Strukturveränderung ist viel wirksamer, sagen die Systemiker, und sie haben Recht. Die Lösungsorientierten behaupten womöglich, dass das ausserdem ganz einfach ist, und haben, mit Verlaub, nicht Recht. Sonst würden wohl kaum nach wie vor 70% der Veränderungsprojekte scheitern.

Aber warum ist das so schwierig? Ich glaube, die Systeme können nichts dafür, weil sie nämlich gar nichts dafür können können. Ich glaube, es sind andere Dinge:

Zum einen bleibt ein beträchtliches Restrisiko: Der Effekt von Interventionen in komplexen Systemen ist per Definition nicht vorhersehbar. Es gibt wohl Interventionen, die eine gute Erfolgschance haben, aber auch sie bleiben Experimente, die nun mal auch schiefgehen können. Ein systemischer Berater, der sich selber vom viel beschworenen „radikalen Nichtwissen“ ausnimmt und behauptet, genau zu wissen, was zu tun ist, nimmt entweder die eigene Theorie nicht ernst oder hält sich für Gandalf. In beiden Fällen empfehle ich Ihnen, die Abschlussrechnung zu bestellen – oder sich die Frage zu stellen, ob er nur so bestimmt auftritt, weil Sie das gerne so möchten...

Zum anderen hat ein System – nach Luhmann’scher Theorie – kein Bewusstsein. Mit einem System kann ich nicht reden, ich rede immer mit Personen. Und übrigens redet ein System auch nicht mit mir, auch das eine reglemässige Fehlmeldung in den Medien: „Die Märkte reagieren nervös“ - denkste, die Händler tun es.

Ein System trifft keine Entscheidungen, das können nur Personen. Die Folge: bei den Gretchenfragen landet man doch wieder bei Einzelnen Führungskräften und deren Art, die Welt zu sehen, oder bei der Gruppendynamik von Führungsteams mit ihrer eigenen Kultur und ihren Machtkonstellationen.

Und deshalb ist Systemtheorie nicht genug. Sie alleine streicht die Menschen aus der Gleichung. Dass das nicht funktioniert, ist irgendwie tröstlich, finde ich. Individuen und Systeme bleiben untrennbar verschränkt: in Letzteren stecken die starken Hebel, aber nur Erstere können sie betätigen. Wer sich nicht auf beiden Ebenen auskennt, wird immer wieder am jeweils anderen Aspekt scheitern.

Mein Vorschlag zur Güte für Change Projekte: nutzen Sie systemische Ansätze, um Handlungsoptionen herzuleiten, die eine gute Chance auf Erfolg haben. Dann prüfen Sie, für wie wahrscheinlich Sie es halten, dass Schlüsselpersonen und -gremien entsprechende Entscheidungen treffen werden. Ihnen dies psychologisch zu erleichtern, sie dabei zu unterstützen, sie dafür zu gewinnen und ihnen den Weg dazu zu ebnen ist dann die nächste Aufgabe. Sie hat viel mit individuellen psychologischen Faktoren zu tun.

Und natürlich sind diese persönlichen Faktoren bei Entscheidern wiederum verknüpft mit den strukturellen Rahmenbedingungen...ich werde nie behaupten, dass das alles ganz einfach ist – aber lohnenswert allemal.

takeoffzoom