Organisationsberatung: Big Data- Big Mistakes?

„Big Data wird die Welt verändern.“ Kann schon sein. Wahrscheinlich sogar. Denn mit Big Data wird es möglich, die Aufmerksamkeit auf bisher unentdeckte Korrelationen zu konzentrieren, deren Auftreten schlicht festgestellt wird, ohne deren Zustandekommen zu erklären. Genau das ist einer der am häufigsten genannten Kritikpunkte gegenüber Big Data – Korrelation sei schliesslich nicht Kausalität.

Ich sehe das Problem überhaupt nicht dort, im Gegenteil: Der Computer wird zur phänomenologischen Maschine, die die Welt nimmt, wie sie sich halt präsentiert, sie ständig befragt und ihre Antworten registriert. Als gelernter Gestalttherapeut bin ich natürlich entzückt über die Aussicht, dass es künftig phänomenologische Computer geben wird. Schliesslich stützen sich Gestalttherapeuten auf phänomenologische Wahrnehmung: sie lenken die Aufmerksamkeit auf Dinge, die sie sehen und hören. Die Bedeutungsgebung überlassen sie ihren Klienten – eine der wirksamsten Vorgehensweisen überhaupt. Sie erlaubt wahre Co-Kreation und den Übergang von kausaler zu ganzheitlich-systemischer Betrachtungsweise. Big Data könnte ähnliches Potential haben.

Allerdings gibt es zwei mächtige Fallstricke. Erstens: wer systemisch denken will, muss in seiner Persönlichkeit so weit gefestigt sein, dass er das eigene Nicht-Wissen und die komplette Absenz von Kausalität überhaupt akzeptieren und ertragen kann, denn sonst wird er sie immer weiter verteidigen. Wer mit Big Data umgehen will, muss einen ähnlichen Schritt tun. Ansonsten wird die Versuchung zu gross sein, aus den Korrelationen Kausalitäten abzuleiten und zurückzufallen in alte Muster.

Und zweitens funktioniert Gestalttherapie, weil mindestens zwei Personen im Raum sind. Der Klient erhält Impulse von einem „Aussenstehenden“ (ausserhalb seiner individuellen Wahrnehmungsgewohnheiten nämlich). Genau das ist bei Big Data aber wenig gegeben: jemand muss den Computern immer noch sagen, nach welchen Gesetzmässigkeiten sie Zusammenhänge zu verbinden haben. Und die Computer können, salopp gesagt, vielleicht mehr denken als wir, aber nicht anders (ich erinnere an meinen Beitrag „out of the box“). Das ist, als würde ich meinem Therapeut, Berater oder Coach vorgeben, welche Fragen er stellen soll – so kommt nicht viel Neues in die Welt, und Organisationsentwicklung ist nicht in Sicht.

Big Data ist in aller Munde, und wir sind fasziniert davon, dass eine Firma für Babyzubehör noch vor ihrer Kunding wusste, dass sie schwanger war, weil ihr verändertes Kaufverhalten darauf hinwies. Solche Beispiele laden dazu ein, zu glauben, wir hätten es geschafft. Endlich, endlich können wir mit mathematisch-statistischen Methoden doch vorhersagen, wie sich die Dinge entwickeln werden - und schon sitzen wir wieder in der alten Kausal-Mausefalle. Back to square one, nur mit mächtigeren Mitteln. Nur dass diesmal der Glaube an Vorhersagbarkeit noch viel grösser ist als bisher, weil schliesslich alles durch viel mehr Daten unterfüttert ist; in der Hoffnung, man stosse auf emergente Qualitäten, wie das in der Physik vorkommt: Supraleitung, wenn es nur genug kalt ist, Raumkrümmung, wenn nur die Gravitation stark genug ist, neue Materialeigenschaften, wenn die Dicke nur noch ein Atom beträgt. Aber ob ein solcher Analogieschluss zu etwas führt, ist völlig offen.

Es besteht das Risiko, dass die Option, dass unsere Schlussfolgerungen falsch sein könnten, aus den Köpfen gestrichen wird: Big Data, Big Mistakes. Wir tun gut daran, in Zukunft noch viel stärker als in der Vergangenheit im Bewusstsein zu behalten, dass wir Modelle bauen, und dass wir diese Modelle bauen.

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